Betreff
Unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge- aktuelle Situation und weitere qualitative und planerische Aufgaben
Vorlage
131/16
Art
Kenntnisgabe öffentlich

Der Sachverhalt wird zur Kenntnis genommen.

 


Mit dem seit 01.11.2015 in Kraft getretenen „Gesetz zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher“ werden minderjährige unbegleitete Ausländer (umF bzw. umA) gleichmäßig und bundesweit verteilt. Klare Zielsetzung dabei ist ein gleichmäßiger kommunaler Lastenausgleich orientiert an der jeweiligen Einwohnerzahl, um insbesondere die sogenannten „Einreiseknotenpunkte“ wie die Stadt Eschweiler zu entlasten. Zu den Auswirkungen der neuen Verfahrensweise wurde der Ausschuss bereits in seiner Sitzung am 29.10.2015 entsprechend unterrichtet (vgl. hierzu auch VV-Nr.: 336/15). Weitere Informationen dazu enthält zudem der als Anlage beigefügte Bericht aus dem Jugendhilfereport 01/16 des Landschaftsverbandes Rheinland, der die besondere Situation der Stadt Eschweiler thematisiert (Anlage 1).

In den letzten Monaten waren nur wenige Aufgriffe bzw. vorläufige Inobhutnahmen zu verzeichnen, gleichwohl hat das Thema nichts an der Aktualität verloren. Aus diesem Grund möchte die Verwaltung nachfolgend über den aktuellen Stand sowie die weitere Vorgehensweise berichten.

 

Ist-Zustand

 

Durch den Landschaftsverband Rheinland wurden mit Stand Ende April 2016 aktuelle Zahlen zur Situation in Nordrhein-Westfalen vorgestellt. Hiernach leben rund 67.500 junge Flüchtlinge in Deutschland, die ohne Eltern oder Sorgeberechtigte eingereist sind. 19,5 % bzw. 13.100 Personen sind derzeitig in Nordrhein-Westfalen. Aktuell steigen die Fallzahlen nur marginal, was ursächlich mit der Schließung der Balkanroute zusammenhängt.

 

Die Stadt Eschweiler befindet sich derzeitig in Bezug auf Quotenerfüllung (Aufnahmeverpflichtung) auf Platz drei eines „nordrheinwestfälischen Rankings“ (vgl. Anlage 2).

Nach dem anzuwendenden Verteilungsschlüssel müsste die Stadt Eschweiler grundsätzlich 42 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreuen (Stand Ende April 2016). Tatsächlich wurden aber zu diesem Zeitpunkt durch das Jugendamt Eschweiler 81 umA betreut, was einer Quotenerfüllung von 193 % entspricht. Nur die Städte Aachen und Dortmund haben höhere Quoten; andere Großstädte wie Köln oder Düsseldorf liegen weit darunter. Die Herausforderung für das Gemeinwesen sowie die Verwaltung wird hier deutlich.

 

Schaut man sich die Gruppe, der durch das Jugendamt Eschweiler betreuten umA genauer an, ergeben sich folgenden Auswertungen (Stand Ende April):

 

1. Verteilung Jungen/ Mädchen

 

 

2. Alter

3. Herkunftsstaaten

 

 

4. Unterbringung

 

 

 

 

5. Schulplatz (der umA in Zuständigkeit des Jugendamtes Eschweiler und mit dem Unterbringungsort Eschweiler)

 

 

 

 

Charakteristisch für Eschweiler ist, dass das Jugendamt für eine Vielzahl von Jugendlichen aus Westafrika zuständig ist. Das steht im Zusammenhang mit den durch die Region führenden Flüchtlingsrouten und natürlich mit dem Dienstsitz der Bundespolizei.

 

Problematisch sind zudem weiterhin die fehlenden Schulplätze, obwohl insbesondere in Eschweiler eine erhebliche Anzahl von sogenannten Internationalen Förderklassen geschaffen wurden. In Zusammenarbeit mit dem Haus St. Josef, Kinder- Jugend- und Familienhilfe wurde daher das Angebot „tagesstrukturierende Maßnahmen“ im Jugendfreizeitheim Peter und Paul entwickelt, um dieses zumindest teilweise zu kompensieren. Hier werden die Jugendlichen ohne Schulplatz tagsüber betreut, erhalten Sprachunterricht und werden an das „Leben in Deutschland“ herangeführt.

 

 

Ausblick/ Weitere Vorgehensweise

 

Derzeit ist auch beim Jugendamt Eschweiler eine Stagnation der Flüchtlingszahlen spürbar. Auch über die Bundespolizeiwache Eschweiler werden seit März kaum Jugendliche mehr dem Jugendamt zugeführt. Gründe dafür sind u.a. eine restriktivere Kontrollpraxis in anderen Ländern (Spanien, Frankreich, Belgien) und veränderte Aufgabenschwerpunkte der Bundespolizei. Die derzeitige „Atempause“ wird dabei durch das Jugendamt genutzt, qualitativ die Versorgung und Betreuung dieser Jugendlichen zu verbessern. Im Schulterschluss mit den freien Trägern vor Ort und hier insbesondere mit dem Haus St. Josef konnten dabei die Betreuungskapazitäten der stationären Jugendhilfe erheblich ausgeweitet werden. Ein Beispiel ist hier der Ausbau der ehemaligen Kirche St. Michael zu einer Erstaufnahmegruppe gem. § 42 a SGB VIII (Anlage 3). Zudem wurden weitere Kapazitäten im Bereich der Wohnform „betreutes Wohnen“ und bei den umA-Fachpflegefamilien geschaffen. Außerdem werden natürlich bei entsprechender Platzkapazität und Bedarfspassung Jugendhilfeangebote außerhalb des Stadtgebietes Eschweiler genutzt. 

 

Das führt dazu, dass die Unterbringungssituation von umA in Eschweiler derzeit im Gegensatz zu anderen Kommunen relativ entspannt ist. So sind beispielsweise keine jungen Flüchtlinge in Zuständigkeit des Jugendamtes Eschweiler in Notunterkünften bzw. Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Eine Zustandsbeschreibung, die allerdings aufgrund der schwankenden Flüchtlingsbewegungen und der diversen externen Einflussfaktoren (z.B. Kontrolldichte der Bundespolizei, Neuorientierung der Flüchtlingsströme etc.) nur für den Moment gelten kann.

 

Wie bereits mitgeteilt, steht derzeit nun die qualitative Verbesserung der Versorgungs – und Betreuungssituation im Vordergrund. Zudem müssen im Rahmen langfristiger Integrations bzw. Inklusionsprozesse die weiteren Lebensphasen in den Blick genommen werden. Dazu gehört insbesondere die Überführung in den Arbeits- und Wohnungsmarkt.

Zahlreiche Aktivitäten wurden hierzu schon gestartet. Diese sind oft sehr individuell und kleinschrittig (z.B. die Vermittlung von drei umA in Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer Aachen in ein betriebliches Sommerpraktikum bei der RWE Power AG) oder nehmen die Gesamtgruppe in den Blick. Gerade in Bezug auf den Übergang von der stationären Jugendhilfe „in die eigene Wohnung“ werden derzeit zahlreiche Ideen und Konzepte mit den freien Trägern entwickelt und erarbeitet.

 

Im Rahmen der Ausschusssitzung soll nun als ein Beispiel für die Kooperation der öffentlichen und freien Jugendhilfe sowie den weiteren qualitativen Ausbau in diesem Bereich die Fachpflegfamilien für umA in Trägerschaft des Haus St. Josef vorgestellt werden. 

 

 

 

 


Die Abrechnung der Fall-/Sachkosten erfolgt nach den Kostenerstattungsvorschriften des SGB VIII in der Fassung vom 01.11.2015 vollumfänglich durch das Land NRW, die die Aufgabe nach § 15a AG-KJHG den Landschaftsverbänden (LVR) übertragen hat. Das LVR-Landesjugendamt Rheinland ist somit als überörtlicher Träger für alle Jugendhilfeaufwendungen der rheinischen Jugendämter und somit auch für die Aufwendungen der umA erstattungspflichtig.

 

Die Stadt Eschweiler hat derzeitig monatliche Aufwendungen in Höhe von rd. 300.000,00 €, die seitens der Verwaltung zeitnah zur Kostenerstattung angemeldet werden.

 

Aufgrund der aktuellen Fallzahlen wie auch der Bearbeitung der Altfälle (Fälle vor dem 01.11.2015) kommt das zuständige Landesjugendamt mit der Sachbearbeitung nicht nach. Dieses bearbeitet derzeitig - wie andere Länder auch - nur sogenannte Altfälle; neue Kostenerstattungsfälle ab 01.11.2015 werden zurzeit so gut wie gar nicht bearbeitet. In der Regel werden bei Fällen ab 01.11.2015 nur im Einzelfall Kostenanerkenntnisse erteilt; sofern eines vorliegt, erfolgt bisher nur sporadisch eine Erstattung der tatsächlich entstandenen und angemeldeten Kosten. Die Verwaltung mahnt daher einzelfallbezogen die ausstehenden Arbeitsschritte bzw. Zahlungen an.

 

Die schleppende Sachbearbeitung führt bei der Stadt Eschweiler dazu, dass für das Haushaltsjahr 2015 immer noch rd. 480.000,00 € (Stand 01.06.2016) der Aufwendungen nicht erstattet worden sind. Für die ersten 5 Monate des Jahres 2016 wurden lediglich 13.395,98 € erstattet. Die Stadt Eschweiler finanziert somit derzeitig rd. 1.750.000,00 € vor.

 

Zur Wahrnehmung der Aufgaben im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation bzw. der Betriebsaufnahme der Bundespolizeiwache in Eschweiler wurden in der Verwaltung zusätzlich 4,0 Stellen (Allgemeiner Sozialer Dienst 2,0; Amtsvormundschaften 1,0; Wirtschaftliche Jugendhilfe 1,0) mit einem zusätzlichen Finanzaufwand von rd. 200.000 €/Jahr geschaffen (vgl. u.a. VV-Nr.: 303/14)

 

Für den zusätzlichen Personal- und Sachaufwand stellt das Land NRW den Jugendämtern ab dem Jahre 2016 eine Verwaltungskostenpauschale von 3.100 € pro Jahr und umA zur Verfügung. Die für die Berechnung der Pauschale maßgebliche Anzahl der umA wird anhand von Stichtagszahlen zum 30.06. und 31.12. eines Jahres ermittelt. Erstmalig kann die Abrechnung im Juli 2016 erfolgen. Es ist daher davon auszugehen, dass die o.g. Personalkosten durch das Land vollumfänglich refinanziert werden.


Personelle Auswirkungen