Betreff
Anforderungen des Pflegekinderdienstes sowie fachliche Perspektiven
Vorlage
335/15
Art
Kenntnisgabe öffentlich

Der Sachverhalt wird zur Kenntnis genommen.

 


Das Pflegekinderwesen ist ein Fachbereich mit zunehmender Bedeutung. So wurden in Nordrhein-Westfalen  2013 24.356 Kinder in Pflegestellen untergebracht (vgl. HzE Bericht 2015, Datenbasis 2013, Fendrich, Pothmann und Tabel, Dortmund, 2015).

 

In Eschweiler werden derzeit insgesamt 111 Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien, Bereitschaftspflegefamilien und Erziehungsstellen durch insgesamt 4 Mitarbeiterinnen mit einem Beschäftigungsumfang von 3,31 Vollzeitstellen betreut. Weitere 21 Kinder leben in sogenannten  Verwandschaftspflegen; hier erfolgt die Betreuung durch verschiedene Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Bezirkssozialdienstes.

 

Im Rahmen der erzieherischen Hilfen ist die Pflegekinderhilfe dabei ein sensibler Bereich, da Kinder und Jugendliche bei Menschen leben und aufwachsen, die ihren privaten Raum für eine öffentliche Erziehungshilfe zur Verfügung stellen. Somit ist die Erziehung von Kindern in Pflegefamilien eine Leistung der Kinder- und Jugendhilfe nach § 33 SGB VIII (KJHG).

 

Die meisten Pflegekinder sind nicht mit ihren Pflegeeltern verwandt. Manche Pflegekinder leben aber auch bei ihren Großeltern oder nahen Verwandten, in sogenannter „Verwandtenpflege“.

Ein Pflegekind ist dabei kein Adoptivkind. Das adoptierte Kind wird mit dem Adoptionsbeschluss des Familiengerichtes rechtlich vollständig der Adoptivfamilie zugeordnet. Dagegen bleibt das Pflegekind Kind seiner Herkunftsfamilie, auch wenn es in der Pflegefamilie sein Zuhause hat.

Die Vermittlung eines Kindes in eine passende Pflegefamilie erfolgt in Eschweiler durch den Fachdienst des Jugendamtes. Jedoch können auch  freie Träger der Jugendhilfe für die Vermittlung und Betreuung der Pflegefamilien eingesetzt werden. Zuständig und hilfeplanführend bleibt aber immer das Jugendamt.

 

Die Belastungen und Einschränkungen, unter denen Pflegekinder oft in ihrer Herkunftsfamilie vor einer Beantragung einer Hilfe zur Erziehung oder Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII aufgewachsen sind, können dabei vielfältig und vielschichtig sein. Kinder haben einen vielfachen Förderbedarf, Entwicklungsverzögerungen oder körperliche Beeinträchtigungen, wie z.B. Trauma oder FAS (Fetales Alkoholsyndrom).

Diese Kinder haben daher extrem belastende Erfahrungen gemacht und müssen zudem den Wechsel von der leiblichen Familie hin zur Pflegefamilie verkraften, d.h. sie erfahren einen Bindungsabbruch.

Daher sind nicht nur die stellende Aufgaben, die sich daraus ergeben, in den Fokus der Hilfe für das Kind  zu nehmen, sondern auch die Ressourcen, die die Bewältigung dieser Schwierigkeiten und Krisen erleichtern.

 

Es gilt also, in der Pflegekinderhilfe die Rahmenbedingungen für ein jedes Kind zu finden, die möglichst zur Bewältigung des Erlebten und zur Sicherung der notwendigen Ressourcen dienen. Hierzu gehört die Vermittlung eines Kindes in die passende Familie ebenso wie die materielle Absicherung, eine optionale therapeutische Anbindung, der Zugang zu Bildung, ein Angebot an korrigierenden Bindungserfahrungen und sozialen Beziehungen. Pflegekinder benötigen Hilfe bei der Entwicklung von erfolgreichen Strategien zur Problembewältigung und Überwindung.

 

Nicht selten sind dabei Lebensläufe von Pflegekindern durch häufige Ortswechsel und Beziehungsabbrüche geprägt. In der Konsequenz entwickeln sich daraus beim Kind weitere Unsicherheiten über den Lebensmittelpunkt. Diese stellen dann wiederum eine massive zusätzliche Belastung dar und nehmen Einfluss auf das kindliche Wohlergehen und auf die zukünftigen Entwicklungsbedingungen und Potentiale. Das Konzept der Resilienz, der seelischen Widerstandskraft, hat seinen Ursprung in der Entwicklungspsychologie und gewinnt in der pädagogischen Forschung und Praxis zunehmend an Bedeutung.

 

Hieraus ergibt sich eine hohe Verantwortung des Fachdienstes in der Hilfeplanung für die Entwicklung von Entwicklungschancen eines jeden Pflegekindes.

Es stellt sich immer wieder die Aufgabe, fehlende Ressourcen zur Verfügung zu stellen und eine am Kindeswohl orientierte Hilfeplanung zu gewährleisten, die auf verbindlichen Standards ausgelegt ist.

 

 

Aufgaben des Pflegekinderdienstes für die Pflegeeltern und Pflegekinder:

 

Eine Pflegefamilie ist Belastungen in der Erziehung ausgesetzt, die sich von denen der „Normalfamilien“ erheblich unterscheiden.

 

Die gemachten Erfahrungen der Kinder können sich in Auffälligkeiten des Verhaltens und Erlebens ausdrücken. Konkret können dies Bindungsstörungen, Traumatisierungen, Leistungsverweigerungen, Loyalitätskonflikte, Auffälligkeiten im Essverhalten oder Angstzustände sein.

Weiterhin sind auch körperliche Beeinträchtigungen durch z.B. Drogenmissbrauch in der Schwangerschaft möglich (Fetales Alkoholsyndrom).

 

Alle diese Auffälligkeiten treten offen oder auch indirekt auf und belasten das Familiensystem der Pflegefamilie. Hier bedarf es der fachlichen Aufklärung und  der pädagogischen Unterstützung des Pflegekinderdienstes, wenn für Eltern manchmal das Verhalten des Kindes völlig unverständlich scheint.

 

Schwierig gestalten sich für Pflegeeltern und  Pflegekinder oftmals auch die Kontakte zur Herkunftsfamilie oder z.B. auch laufende gerichtliche Verfahren. Auch das psychologische Phänomen der Übertragung des Pflegekindes auf die Pflegefamilie als Stellvertreter für die Herkunftsfamilie führt zu vielfältigen Beziehungsauseinandersetzungen in der Pflegefamilie. So ist es wichtig, dass sich Pflegeeltern auch mit grundlegenden Themen wie persönliche Abgrenzung, Wahrung von Freiräumen oder das Hinterfragen elterlicher Kompetenzen beschäftigen müssen.

 

Die Beratung und Begleitung von Pflegefamilien und ihren Kindern stellt daher besondere Ansprüche an den Fachdienst. Neben breit gefächerten Feldkompetenzen sind die persönlichen Kompetenzen und die Beziehungskompetenzen, vor allem in krisenhaften Perioden, der Mitarbeiter des Pflegekinderdienstes in einem hohen Maß gefordert. Zudem beinhaltet das Wächteramt des Jugendamtes (Kontrolle und Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII) nicht nur die Betreuung, Beratung und Gewährung von Leistungen, sondern auch die Aufgabe über das Kindeswohl zu wachen.

 

Die Aufgabe für das Jugendamt in Bezug auf die Herkunftsfamilie stellt sich ebenfalls an verschiedenen Stationen im Prozess der Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie.

Eine meist umfangreiche, oft zeitintensive und anspruchsvolle Aufgabe umfasst unter anderem die Unterstützung der leiblichen Eltern beim Übergang des Kindes in die Pflegefamilie, der Trauerarbeit von leiblichen Eltern, die Unterstützung und Organisation in Bezug auf Umgangskontakte mit den Kindern oder auch die Förderung der Partizipation im Hilfeplanprozess.

 

 

Qualitätsentwicklung im Pflegekinderdienst der Stadt Eschweiler:

 

Die fortlaufenden Schulungen von Pflegeeltern, wie durch Bewerberseminare, Fachtage, begleitende Supervisionsangebote oder auch die Vernetzung der Fachdienste in der StädteRegion mit den anderen kommunalen Pflegekinderdiensten dient der Entwicklung von Standards, um sich den Aufgaben im Pflegekinderdienst zu stellen, Chancen, die sich bieten, zu nutzen und als Fachdienst eine gewichtige Einflussgröße für das jeweilige Pflegekind und seine Familie zu sein.

 

Exemplarisch für diese Angebote steht dabei beispielsweise der gemeinsame Fachtag der Pflegekinderdienste in der StädteRegion Aachen mit dem Haus St. Josef, Eschweiler, am 21.11.2015 und dem Thema „Alltag mit traumatisierten Kindern- Neue Wege gehen“.

 

 

Weiterführende Fragen und sich ergebende Aufgaben im Pflegekinderdienst:

 

Für die Zukunft ergeben sich für diesen Bereich vielfältige Entwicklungsaufgaben:

 

  • Welche Bedürfnisse haben Kinder in der Jugendhilfe und welche Aufgabenstellungen ergeben sich hieraus für den Fachdienst?
  • Was brauchen Familien im Pflegekinderwesen an Unterstützung und Begleitung und Perspektiven?
  • Wie werden Fallabbrüche vermieden und was hilft, wenn Familien in der Krise sind?

 

Eine weitere Schwierigkeit in diesem Bereich ist die zunehmende Differenzierung der sogenannten „familienanalogen Hilfen“ insgesamt. So sinken die Bewerberzahlen für Pflege- und Erziehungsstellen; parallel dazu erweitern privat-gewerbliche Anbieter und freie Träger ihre Angebote und „agieren“ mit Sozialpädagogischen Lebensgemeinschaften oder Projektstellen im Rahmen von § 34 oder 35 SGB VIII; oft zu höheren Kosten und mit geringen Qualitätsunterschieden zu den klassischen Angeboten nach § 33 SGB VIII. Hier gilt es, in Zukunft fachlich und inhaltlich die eigenen Angebote weiterzuentwickeln. Die beste Werbung für das eigene System sind dabei zufriedene und gut betreute Pflegestellen.

 

Auch die Unterbringung von unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen in Pflegefamilien wird in Zukunft verstärkt in den Fokus genommen werden müssen. In Kooperation mit dem Haus St. Josef, Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, wurde hierzu ein entsprechendes Konzept entwickelt und die ersten Jugendlichen konnten untergebracht werden. Weitere Pflegeeltern werden zudem derzeit ausgebildet und geschult. Viele inhaltliche Fragen werden nun auch in der täglichen Praxis sichtbar; Antworten und Lösungen müssen hierzu in Kooperation mit dem Haus St. Josef gefunden werden.

 

Ein besonderes Augenmerk gilt auch den „besonderen bzw. behinderten“ Pflegekindern. An der Schnittstelle von verschiedenen Leistungssystemen (Jugend- und Sozialhilfe) ergeben sich in der Praxis zum einen verschiedenste Abgrenzungsschwierigkeiten und zum anderen hohe Anforderungen an die Fachlichkeit der Mitarbeiterinnen im Pflegekinderdienst.

Nicht absehbare gesetzliche Veränderungen tragen zudem zur Verunsicherung bei. So ist derzeit noch unklar, wie sich das für 2016 geplante „Gesetz zur Stärkung der Inklusion in Nordrhein-Westfalen“ auf die Zuständigkeit für Kinder mit körperlichen/geistigen Behinderungen in Pflegefamilien auswirken wird. Der Gesetzesentwurf spricht sich für eine Zuständigkeit der überörtlichen Träger der Sozialhilfe aus.

Parallel dazu wird auch weiterhin die Möglichkeit der Umsetzung der sogenannten „Großen Lösung im SGB VIII“, also einer Gesamtzuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen in der Jugendhilfe, diskutiert.

 

 

 

Der Pflegekinderdienst hat sich als ein unverzichtbarer Spezialdienst in den Jugendämtern etabliert. Um den Anforderungen von Kindern und Jugendlichen, Pflegeeltern und der Herkunftsfamilie gerecht zu werden, bedarf es vielfacher Kompetenzen der Mitarbeiterinnen in diesem Bereich. Der Ausblick auf die Herausforderungen zeigt dabei, welche Aufgaben hier auf die Mitarbeiterinnen im Pflegekinderdienst in Zukunft „warten“.

 

Ergänzend sei noch erwähnt, dass die Begleitung und Betreuung von Erziehungsstellen als Sonderform der Vollzeitpflege im Rahmen des § 33 Abs. 2 SGB VIII in einer nächsten Sitzungen des Jugendhilfeausschusses detaillierter vorgestellt werden soll. Zudem werden die Mitarbeiterinnen des Pflegekinderdienstes ihre Arbeit im Rahmen der Ausschusssitzung nochmals mündlich präsentieren.

 


Die Haushaltsmittel für diesen Aufgabenbereich sind u.a. im Produktsachkonto 063630101- 53310800 (Vollzeitpflege gem. § 33 SGB VIII) veranschlagt. Im Haushaltsjahr 2015 wurden hierzu Mittel in Höhe von 1.600.000 Euro eingestellt. 

 


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