Der Sachverhalt wird
zur Kenntnis genommen und die Verwaltung wird beauftragt entsprechende
bauvorhabenbezogene Vorgaben zu entwickeln und diese bei eigenen und externen
Straßenneuplanungen zu berücksichtigen.
Ausgangslage
Noch 1997 wurde die Definition der Straße im Wörterbuch Allgemeine Geographie, wie folgt, beschrieben:
„Straße: (...) im engeren Sinn ein befestigter und unterhaltener Landesverkehrsweg für den Straßenverkehr, insbesondere den Kraftfahrzeugverkehr. Ein Verkehrsweg gilt vor allem dann als Straße, wenn er ganzjährig und weitgehend witterungsunabhängig auch für größere Fahrzeuge befahrbar ist. (…) Nach ihrer Funktion kann man die Straße differenzieren z.B. nach Wohn-, Geschäfts-, Hauptverkehrs-, Kraftfahrzeug-, Land- und Innerortsstraße und Autobahnen, (...)“ (LESER et al. 1997: 840)
Der klassische Straßenbau beschreibt also die zur Verfügung stehenden Verkehrsflächen in erster Linie als Transportfläche für den motorisierten Individualverkehr. Heute muss die Straße zumindest innerstädtisch mit den an Sie gestellten Forderungen aller Verkehrsteilnehmer und der ruhenden Nutzer als multifunktionaler Raum gesehen werden. Zudem muss die Verwaltung zukunftsorientiert – das heißt für eine geplante Nutzungsdauer einer Stadtstraße von 50 bis 70 Jahren – den öffentlichen Raum auf eine Nutzung im Rahmen einer sich mit Sicherheit einstellenden Verkehrswende vorbereiten.
Die bisher entwickelten und gebauten Stadtstraßen in der Stadt Eschweiler folgen diesem Anspruch nur zum Teil. Dem Leitgedanken eines nachhaltigen Wirtschaftens soll zukünftig mehr Raum gegeben werden und in einem Prozess der ganzheitlichen Betrachtung ein völlig neuer Kompromiss zwischen den verschiedenen heute vorhandenen und zukünftig kommenden Nutzungsanforderungen gefunden werden, um dem Bürger nachhaltig und zukunftsorientiert einen Mehrwert im öffentlichen Raum zu garantieren.
Erweiterung
des Fokus bei der Planung von Stadtstraßen
Um in einen
Entwicklungsprozess zu starten, welcher zukunftssicher den Straßenraum
gestaltet, müssen zunächst alle Nutzer und deren Anforderungen an die Straße
definiert werden. Neben den klassischen Anforderungen der verkehrlichen, der
Versorgungs-Erschließung und der Katastrophenvorsorge sind bereits heute
weitere Anforderungen erkannt worden und werden zunehmend Berücksichtigung
finden müssen.
Bisher erkannte und zukünftig absehbare Anforderungen an eine Stadtstraße:
- Durchgangsverkehr
Der Durchgangsverkehr hat bei Stadtstraßen mit einer Erschließungsfunktion oder höherwertigen Funktion einen hohen Stellenwert. Die lokale Versorgung mit Gütern wird hier sichergestellt und die Menschen mit Zielen außerhalb der Straße können so dem weiter verteilenden Infrastrukturnetz, bestehend aus Straßen und ÖPNV, zugeleitet werden. Diese Anforderung ist eine klassische Anforderung an den Straßenraum, welche sich allerdings in den Modal-Split-Anteilen der Verkehrsteilnehmer bereits jetzt wandelt. Zu unterscheiden ist hier zwischen folgenden Funktionen bzw. Gruppierungen:
Durchgangsverkehr - Transport von Personen und Gütern mit dem MIV (Motorisierter Individualverkehr)
Durchgangsverkehr - Transport von Personen im ÖPNV (Öffentlicher Personennahverkehr)
Durchgangsverkehr - Transport von Personen und Gütern mit dem Fahrrad
Durchgangsverkehr – andere Transportarten (zu Fuß, Skater, etc.)
- Quell- und Zielverkehr
Die Quell- und Zielverkehre sind die zentral wichtigen Funktionen einer Erschließungsanlage für die Anwohner. Diese Anforderung ist ebenfalls eine klassische Anforderung an den Straßenraum, welche sich sogar deutlich stärker als beim Durchgangsverkehr in den Modal-Split-Anteilen der Verkehrsteilnehmer wandelt. Zu unterscheiden ist hier zwischen folgenden Funktionen bzw. Gruppierungen:
Quell- und Zielverkehr - Transport von Personen und Gütern mit dem PKW
Quell- und Zielverkehr - Transport von Personen im ÖPNV
Quell- und Zielverkehr - Transport von Personen und Gütern mit dem Fahrrad
Quell- und Zielverkehr - andere Transportarten (zu Fuß, Skater, etc.)
Ruhender Verkehr – mit dem PKW
Ruhender Verkehr – mit dem PKW mit Ladefunktion
Ruhender Verkehr - mit dem Fahrrad und anderen alternativen Verkehrsmitteln
- Grundversorgung
Die Grundversorgung der Anlieger ist neben der verkehrlichen Erschließung eine unabdingbare Voraussetzung für die Bebauung einer Straße. Inzwischen sind Großteile der Grundversorgerleistungen privatisiert. Der Einfluss und der Gestaltungsspielraum der Städte in diesem Bereich schwindet somit stetig. Diese Anforderung ist auch eine klassische Anforderung an den Straßenraum. Die Bedeutung der Datenversorgung steigt zunehmend. Zu unterscheiden ist hier zwischen folgenden Funktionen bzw. Gruppierungen:
Trinkwasser
Abwasser
Daten und Telefonie
Gas
Fernwärme
Beleuchtung
- Katastrophenvorsorge
Verschiedene Katastrophenszenarien sollen über Einrichtung im öffentlichen Bereich zum Teil verhindert und zum Teil abgemildert werden. Diese Anforderung ist auch eine klassische Anforderung an den Straßenraum. Über die Möglichkeit computergestützer Simulationsberechnungen mit immer genaueren Rechenmodellen kann hier stetig eine Verbessrung des Schutzniveaus erreicht werden. Zu unterscheiden ist hier zwischen folgenden Funktionen bzw. Gruppierungen:
Hochwasserschutz
Löschwasser für die Feuerwehr
Entwässerung des öffentlichen Bereiches
Ungeregelte Entwässerung privater Bereiche mit Überschwemmungspotential
Rettungswege
Insbesondere in Anbetracht des Hochwasserereignisses vom 14.07. und 15.07.2021 wurde deutlich, dass der zukünftigen Gestaltung des Stadtraums auch mit Blick auf eine möglichst verträgliche Ableitung der Wassermassen eine sehr große Bedeutung zukommt. Zwar werden auch zukünftig Schäden an der städtischen Infrastruktur und auch Schäden an Gebäuden bei derartigen Ereignissen nicht zu vermeiden sein. Allerdings besteht ggf. die Möglichkeit in einigen Bereichen durch Profilierung des Geländes den Abfluss des Wassers gezielt in Bereiche zu lenken die ein geringes Schadenspotentential aufweisen, (z.B. tiefer liegende Grünflächen, Spielplätze u.ä.) um diese als zusätzlichen Retentionsraum zu nutzen. Diesbezüglich wird der zurzeit in Aufstellung befindliche „Masterplan“ des Wasserverbandes Eifel-Rur ggf. erste wertvolle Hinweise liefern.
- Verkehrssicherheit
Die Verkehrssicherheit ist eine neuere Anforderung an den Straßenraum mit stark wachsender Bedeutung. Die Straßen, welche in den Jahren des Wiederaufbaus gebaut wurden, haben sich ausschließlich am Verkehrsfluss des motorisierten Individualverkehrs orientiert. Heute schränkt man die Leichtigkeit des Verkehrs zum Schutz anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere bei Kenntnis von Unfällen und im Umfeld von Einrichtungen mit im Straßenverkehr benachteiligten Personen, ein. Im Sinne einer allgemeinen Teilhabe werden die öffentlichen Verkehrsräume zunehmend barrierefrei bzw. barrierearm gestaltet. Zukünftig muss aber darüber hinaus der demographische Wandel, welcher deutlich mehr Verkehrsteilnehmer mit eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit mit sich bringt, der prophylaktische Schutz von Kindern und das Schutzbedürfnis von unfallbenachteiligten Verkehrsteilnehmern verbessert werden. Zu unterscheiden ist hier zwischen folgenden Funktionen:
Barrierefreiheit
Beruhigung des Verkehrs, insbesondere in Stadtstraßen ohne Erschließungsfunktion
Schutz von Verkehrsteilnehmern (Kinder und ältere Menschen) mit eingeschränkter Wahrnehmung
Schutz von Verkehrsteilnehmern mit natürlichem geringem Eigenschutzniveau
- Aufenthaltsqualität
Die Aufenthaltsqualität einer Stadtstraße ist bisher nur an Platz- und Einkaufsbereichen betrachtet worden. Durch den demographischen Wandel gewinnt insbesondere die wohnungsnahe und ruhige Begegnungsmöglichkeit im öffentlichen Raum stark an Bedeutung, um einer sozialen Entfremdung älterer Menschen entgegen zu wirken und die Teilhabe dieser immer größeren Bevölkerungsgruppe sicherzustellen. Darüber hinaus hat in den vergangen Jahrzehnten der Individualverkehr und damit das Gefährdungsniveau deutlich zugenommen, so dass die Stadtstraße als Raum der persönlichen Entfaltung im Entwicklungsprozess unserer Kinder fast bedeutungslos geworden ist. Eine Steigerung der Aufenthaltsqualität ist nicht nur für die Anwohner vorteilhaft, sondern auch langfristig für die Eigentümer der Häuser, da der Immobilienwert steigt. Somit profitieren alle Bürger. Zu unterscheiden sind hier zwischen folgenden Funktionen:
Begegnungsflächen
Optische Gestaltung von Verkehrsflächen
Verkehrssichere Gestaltung von Verkehrsflächen
Optisches wertvolles Straßenbegleitgrün
Barrierefreiheit
- Mikroklima und Ökologie
Die mikroklimatischen und stadtbezogenen ökologischen Anforderungen an eine Stadtstraße sind bisher weitestgehend unberücksichtigt geblieben. Die bisherigen Bemühungen um das Straßenbegleitgrün sind eher einer Aufenthaltsqualitätssteigerung bzw. optischen Aufwertung geschuldet. Da der Anforderungskomplex Mikroklima und Ökologie bisher in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit erfahren hat und somit auch unzureichend betrachtet und diskutiert wurde, werden hier zunächst die einzelnen Anforderungen aufgelistet und im Gegensatz zu vorherigen Systematik des Textes direkt näher erläutert, um eine grundlegende Nachvollziehbarkeit der Anforderung herzustellen.
Ökologisch wertvolles Straßenbegleitgrün im Einklang mit einer Aufwertung des Pflanzuntergrundes
Hier ist die Auswahl und Platzierung von Bepflanzung mit Augenmerk auf die Sauerstoffproduktion, die Luftfilterwirkung, die Förderung der biologischen Vielfalt und in Anpassung an eine sich neu einstellende Verteilung der Niederschläge über das Jahr gemeint. Hier ist ebenfalls der Schattenwurf der Bepflanzung als mikroklimarelevante Kühlung der Verkehrsflächen und Fassaden zu berücksichtigen. Zudem müssen die Pflanzräume über einen langfristigen Zeitraum die Nährstoffversorgung und die Versorgung mit Wasser sicherstellen. Die Auswahl muss dabei die notwendigen Unterhaltungsleistungen zum Erhalt berücksichtigen. In diesem Sinne müssen auch personelle wie auch finanzielle Ressourcen neu verteilt werden. Als Anwendungsbeispiel sind hier so genannte Baumrigolen („Stockholmer Modell“) zu nennen. Hierbei wird das anfallende Niederschlagswasser gezielt in die Pflanzbeete geleitet und dort gespeichert. Auf diese Weise wird dem Baum zusätzliches Wasser zur Verfügung gestellt, so dass auch längere Hitzeperioden (ohne ausreichenden Niederschlag) wie in den Sommermonaten 2019 und 2020 überbrückt werden können. Zu ergiebige Niederschläge werden von der Rigole über einen Überlauf wiederum an den Kanal abgegeben.
Bei den Planungen zur Kanal- und Straßenbaumaßnahme Wilhelmstraße (VV 262/21) wurde erstmalig dieser Ansatz verfolgt.
Ökologische und kleinklimawirksame Gestaltung der Beläge von Straßen- und Nebenanlagen
Heute entwässern die Nebenanlagen, wie auch die Straßenflächen in die Straßenentwässerung. Der Niederschlag auf öffentlichen Verkehrsflächen wird so der Kläranlage zugeführt und letzten Endes über Flüsse bis ins Meer geleitet. So wird den Bodenschichten unter der Straße und somit natürlich auch dem Straßenbegleitgrün, wie auch dem Grundwasser die wichtigste Möglichkeit zur Wiederauffüllung der Wasserspeicher punktuell entzogen. Daraus folgt, dass die Verdunstung des Niederschlagswassers als kleinklimatisch wirksame Rückkühlung unsere Umwelt deutlich eingeschränkt wird und langfristig wird es unter den Bestrebungen die Kanäle besser abzudichten und die Straßen besser zu unterhalten zur punktuellen Verödung des „Naturraums“ Straße kommen. Hierzu gilt es die Oberflächenbeläge des Straßenlandes so auszuführen, dass sie mit einer langfristigen Filterwirkung für umweltschädliche Substanzen, hier insbesondere Kupferabrieb von Bremsbelägen und dem als Mikroplastik zu bewertenden Reifenabrieb, zum Schutz des Grundwassers ausgestattet sind und möglichst viel Wasser in den natürlichen Wasserkreislauf zurückführen. Zudem sollte geprüft werden, wie man durch die Gestaltung der Oberbeläge möglichst viel Reflexionswirkung, zum einen für eine bessere Ausleuchtung durch die Straßenbeleuchtung und zum anderen für eine möglichst hohe Rückstrahlung der Sonneneinstrahlung, und möglichst wenige Energiespeicherungsvermögen erzielen kann.
Ökologische wertvolle Ausführung der Straßenbeleuchtung
Um der zunehmenden Lichtverschmutzung (Negative Beeinflussung von Flora, Fauna und Mensch durch künstliches Licht) entgegen zu wirken, sollte das normkonforme Beleuchtungsniveau im Straßenbereich in Frage gestellt werden und an das jeweilig notwendige Schutzniveau sinnvoll angepasst werden. Hier sollen künftig die Möglichkeiten der Lichtsteuerung (Telemanagement), wie bereits im Planungs-, Umwelt- und Bauausschuss am 17.12.2020 durch die Regionetz GmbH vorgetragen („Intelligente Straßenbeleuchtung“), noch stärker genutzt werden, um das Beleuchtungsniveau besser auf die bestehenden Anforderungen abstimmen zu können und die Energieeffizienz weiter zu steigern.
Planung von
Stadtstraßen in der Zukunft
Insgesamt
wurden hier in 7 Handlungsfelder mit 34 Anforderungen an die Planung einer
Stadtstraße formuliert. Durch die Aufnahme bzw. verstärkte Berücksichtigung von
Anforderungen bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes werden die klassischen
Anforderungsfelder in ihrer Wichtung im Gesamten unbedeutender. Somit wird sich
bei zukünftigen Straßenplanungen der Fokus nicht nur erweitern, sondern auch
verschieben. Eine allgemeine Vorformulierung der Wichtungsfaktoren ist nicht
möglich und auch nicht gewollt, da diese immer unter den individuellen
Rahmenbedingungen einer Straße, wie z.B. Verkehrsstärke oder beplanbarer
Verkehrsraum, betrachtet werden müssen.
Zu Lasten der klassischen Anforderungen werden zukünftig folgende Anforderungen deutlich stärker Berücksichtigung in der Straßenplanung finden:
Durchgangsverkehr - Transport von Personen und Gütern mit dem Fahrrad (Dieser Punkt, sowie die beiden nächsten Punkte sind bereits mit dem entsprechenden Beschluss zum ESKLIMO manifestiert.)
Quell- und Zielverkehr - Transport von Personen und Gütern mit dem Fahrrad
Ruhender Verkehr - mit dem Fahrrad und anderen alternativen Verkehrsmitteln
Quell- und Zielverkehr - andere Transportarten (zu Fuß, Skater, etc.)
Ungeregelte Entwässerung privater Bereiche mit Überschwemmungspotential
Hochwasserschutz
Beruhigung des Verkehrs, insbesondere in Stadtstraßen ohne Erschließungsfunktion
Schutz von Verkehrsteilnehmern mit eingeschränkter Wahrnehmung
Schutz von Verkehrsteilnehmern mit natürlichem geringem Eigenschutzniveau
Begegnungsflächen
Optisches wertvolles Straßenbegleitgrün
Ökologisch wertvolles Straßenbegleitgrün im Einklang mit einer Aufwertung des Pflanzuntergrundes
Ökologische und kleinklimawirksame Gestaltung der Beläge von Straßen- und Nebenanlagen
Ökologische wertvolle Ausführung der Straßenbeleuchtung
In der Pauschalität der hier
formulierten konzeptionellen grundlegenden Ausrichtung kann eine finanzielle
Betrachtung nicht erfolgen. Diese ist bei den entsprechenden Sitzungsvorlagen
der Einzelmaßnahmen mit zu betrachten.
Die einzelnen
Bausteine zur Realisierung der angestrebten Nachhaltigkeit müssen noch von den
Fachabteilungen im Amt 66 in der jeweiligen Zuständigkeit erarbeitet werden.
Hierzu soll ggf. auf externe Unterstützung von Ingenieurbüros zurückgegriffen
werden.