Betreff
Beistandschaften 2020 - Frühe Hilfe Beistandschaft? Zielorientierung und Praxisentwicklung in der Beistandschaft
Vorlage
059/16
Art
Kenntnisgabe öffentlich

Der Sachverhalt wird zur Kenntnis genommen.

 


Mit der Verwaltungsvorlage 062/10 wurde der Jugendhilfeausschuss über die Entwicklung des Unterhaltsrechts seit 2008 und die Auswirkungen auf die Beistandschaft beim Jugendamt Eschweiler informiert. Darüber hinaus hat das Jugendamt in einer Veranstaltung „Aufgaben und Zuständigkeiten in der Jugendhilfe“ im Juni 2015 umfangreich über die einzelnen Sachgebiete berichtet.

 

Das Sachgebiet Beistandschaften, entstanden aus der ehemaligen Amtspflegschaft und der damit einhergehenden Bevormundung der Kindesmutter und des „unehelichen“ Kindes, unterliegt einer stetigen Entwicklung. Die Verbesserung der Rechte der Kinder und des Kindeswohls wurde zuletzt beispielsweise geprägt durch das Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern aus dem Jahre 2013. Grundsätzlich hat nach deutschem Recht die Mutter bei nicht verheirateten Eltern mit der Geburt das alleinige Sorgerecht. Mit der Reform im Jahre 2013 wurde die Rechtsstellung der Väter verbessert. Ab 2013 können Väter mit einem vereinfachten gerichtlichen Antrag das gemeinsame Sorgerecht erlangen. Damit werden mehr und mehr die rechtlichen Unterschiede zwischen Kindern von verheirateten und nicht miteinander verheirateten Eltern abgebaut.

 

Der Wandel von der staatlichen Eingriffsverwaltung hin zu einem umfassenden Hilfsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern hat dazu geführt, dass neue Denk- und Arbeitsweisen zu definieren waren. Die grundlegende Verankerung dieser „neuen“ Aufgabenstellung erfolgte im Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe -, und zwar durch:

 

§ 18 SGB VIII: Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge und des Umgangsrechts,

 

§ 52 a SGB VIII: Beratung und Unterstützung bei Vaterschaftsfeststellung und Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen,

 

§ 55 SGB VIII: Beistandschaft – mit den Aufgaben zur Feststellung der Vaterschaft und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen sowie die Verfügung über diese Ansprüche (so auch § 1712 BGB) und

 

§ 59 SGB VIII: Beurkundung (hauptsächlich: Vaterschaftsanerkennung, Verpflichtungserklärung wg. Unterhalt und Sorgeerklärung.

 

Der Fragestellung nachgehend, in welchem Umfang und mit welchen Inhalten gefüllt die Beistandschaft innerhalb und außerhalb des Jugendamtes agieren soll / kann, haben die Landesjugendämter Rheinland und Westfalen im November 2013 in einer zweiten Auflage eine Arbeits- und Orientierungshilfe „Qualitätsstandards für Beistände“ entwickelt (siehe hierzu:

 

https://www.lwl.org/@@afiles/41926646/qualitaetsstandards_fuer_beistaende_1_179.pdf).

 

Hierin werden die inhaltlichen Beratungs- und Arbeitsstufen genauer definiert:

 

1. Stufe: Beratung

            Die Beratung soll als Ziel möglichst einvernehmliche Lösungen zum Wohle des Kindes haben. Optimal    wäre ein gemeinsames Gespräch aller Beteiligten, um den Lebenssituationen von Kindern und ihren          Eltern gerecht zu werden und ihre Eigenverantwortung und gemeinsame Elternverantwortung zu           stärken.

 

2. Stufe: Unterstützung

            Die Unterstützung geht über die Beratung hinaus. Sie beinhaltet bereits einen schriftlichen Antrag des      alleinerziehenden Elternteils oder jungen Volljährigen.

            Im Rahmen der außergerichtlichen Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen kann das Jugendamt       mit diesem Antrag den Unterhaltspflichtigen anschreiben, um Auskunft ersuchen, Ermittlung bei Dritten         einholen und die Unterhaltsansprüche anmahnen bzw. zur Zahlung auffordern.

 

3. Stufe: Beistandschaft

            Erst wenn Beratung und Unterstützung nicht zu einer einvernehmlichen Lösung führen oder eine gerichtliche Vertretung des Kindes erforderlich wird, sollte eine Beistandschaft eingerichtet werden. Der             wesentliche Unterschied zur Unterstützung ist hier also die gerichtliche Vertretung des Kindes (Anwalt           des Kindes).

 

Im Rahmen von gesellschaftlichen Veränderungen wie beispielsweise die Zunahme von Armut in Familien und daraus resultierend die Zunahme von Kinderarmut, von allein sorgenden Eltern und auch den vermehrten Trennungen und Scheidungen, von denen Kinder und Jugendliche betroffen sind, ist die Bedeutung der  Beistandschaft innerhalb des Jugendamtes erheblich gewachsen und erhält im Kontext der Angebote des Jugendamtes einen besonderen Stellenwert.

 

Dabei steht das Sachgebiet Beistandschaft im Jugendamt an einer signifikanten Schaltstelle für (auch noch ungeborene) Kinder und deren (werdende) Eltern.

 

Sicherlich geht es nach wie vor zu einem großen Anteil um die finanzielle Absicherung des Kindes und die Realisierung des Unterhaltsanspruchs gegenüber dem originär zuständigen unterhaltspflichtigen Elternteil. Dazu gehört auch (bereits vorgeburtlich) die Beratung hinsichtlich der möglicherweise bestehenden Ansprüche bei anderen Sozialleistungsträgern wie z.B. Jobcenter, Unterhaltsvorschusskasse usw..  Darüber hinaus wird aber deutlich, dass gerade die Beistandschaft basierend auf dem gesetzlich zugewiesenen Aufgabenkatalog potentielle „Schutzfaktoren“ mit beeinflussen kann, die Entwicklungsrisiken für Kinder, Jugendliche und deren Familien gegenüberstehen.

 

Zunehmend wird deutlich, dass die Vernetzung der Beistandschaft nicht nur innerhalb des Jugendamtes z.B. zum allgemeinen Sozialdienst und zur Amtsvormundschaft, dem Fachdienst „Frühe Hilfen“ oder innerhalb der Verwaltung z.B. zum Standesamt notwendig ist. Beratung und Unterstützung generiert auch eine Lotsenfunktion hinsichtlich der Vernetzung mit anderen / externen Trägern sozialer Hilfeleistungen wie z.B. der AWO und dem SkF.

 

Hier besteht auf Zukunft gerichtet eine inhaltliche Herausforderung an das Sachgebiet Beistandschaft: „Soviel Beratung und Unterstützung wie möglich, soviel Beistandschaft wie nötig“.

 

Mit dem Bezirkssozialdienst besteht ein guter Kontakt innerhalb des Jugendamtes, so z.B. durch gegenseitige Beratung in teils schwierigen Fällen, z.B. bei minderjährigen, noch schulpflichtigen werdenden Eltern, oder bei der Wahrnehmung Kindeswohl gefährdender Umstände über den Erstkontakt bei Beurkundungen. Zudem wurde in den vergangenen Monaten Kontakt in den internen Netzwerken gesucht, beispielsweise im Eschweiler Netzwerk Flügelschlag – Starke Kinder an der Inde.

 

Allgemein wird wahrgenommen, dass in vielen Fällen das Beratungs- und Unterstützungsangebot der Beistandschaft sowie z.B. die Möglichkeit der vorgeburtlichen Beurkundung der Vaterschaft wenig bekannt ist. Hier können die bereits geknüpften „externen“ Kontakte dazu dienen, die Angebotspalette des Jugendamtes diesbezüglich bekannter zu machen. Es ist angestrebt, den Bekanntheitsgrad der Beistandschaften über Kinderärzte, Gynäkologen, Hebammen (Familienhebammensystem) durch Vorträge, Publikationen, Flyer o.ä. zu erhöhen. Es bedarf also auf Zukunft hin betrachtet insgesamt einer Weiterentwicklung der Dienstleistungen im Aufgabengebiet der Beistandschaft zum Nutzen der betroffenen Familien und deren Kinder einerseits und andererseits einer Art „Imagekampagne“ für die Beistandschaft innerhalb und außerhalb des Jugendamtes.

Damit stellen sich auch die fachlichen Herausforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Bereich deutlich heraus: wünschenswert sind sozial erfahrene Verwaltungskräfte mit entsprechendem Ausbildungsabschluss (AL II oder vergleichbarer Ausbildung im gD), ebenso auch vermehrt und/oder alternativ sozialpädagogische Fachkräfte (BA).

 

Idealer Weise wird in dem bis dato eher verwaltungsorientierten Sachgebiet Beistandschaften zukünftig ein gleichberechtigtes Arbeitsfeld Beratung und Unterstützung entwickelt, mit dem sich das Jugendamt als gut aufgestellter Dienstleister präsentieren kann. Damit befindet sich das Jugendamt Eschweiler mit anderen Jugendämtern auf einem guten Weg der Weiterentwicklung, und so kann das Sachgebiet Beistandschaften innerhalb und außerhalb des Jugendamtes zu einem wichtigen Baustein der „Frühen Hilfen“ werden.

 

Praktische Ansätze für diese Weiterentwicklung der Qualitätsstandards für Beistände wurden in dem Projekt „Beistandschaften 2020“ in den letzten beiden Jahren von den Landesjugendämtern Rheinland und Westfalen entwickelt. Die Evaluation des Praxisentwicklungsprojekts ist unter

 

http://www.lvr.de/media/wwwlvrde/jugend/jugendmter/beistandschaft/dokumente_77/FirstSpirit_1452759339882Beistandschaften_2020_Webansicht.pdf

 

veröffentlicht.


keine

 


keine